Kapplers Hut : 75. Jahrestag des Massakers an den Fosse Ardeatine bei Rom am 24.3.2019

Leseprobe aus Teil 2 der Erlebnisse des Hermann Weber:

23.03.1944 Via Rassella, Rom, mittags

Die Explosion in der Via Rassella traf den Zug der SS- Ordnungspolizei aus Südtirol mit voller Wucht und völlig unvorbereitet. Jeden Tag marschierte diese Einheit in strammen Gleichschritt durch die engen Gassen der italienischen Hauptstadt, verbreitete dabei mit dem martialischen Gedröhn der genagelten Stiefel der Marschkolonne das Symbol der Unterwerfung Italiens unter das deutsche Reich Adolf Hitlers.

Etwa ein halbes Jahr zuvor waren über Nacht aus den ehemals verbündeten faschistischen Staaten Deutschland und Italien erbitterte Kriegsgegner geworden, als der der Hitlerfreund Benito Mussolini abgesetzt und durch den Marschall Badoglio ersetzt wurde, vorher ein treuer Anhänger des abgesetzten Mussolini. Die italienische Regierung schloss mit den in Süditalien gelandeten Alliierten ein Abkommen über einen Waffenstillstand ab. Nazideutschland sah sich von diesem Augenblick in der Situation das ganze Italien zu besetzten und unter deutsches Regiment zu stellen. Die italienische Bevölkerung war fortan besonderen Repressalien ausgesetzt, in der Hierarchie des Reiches standen nur noch die Juden unter den Italienern.

Die harten Repressionen der Deutschen führten unmittelbar zu einer Zunahme von Aktionen des Widerstandes, der Resistenza, auf dem Land und in den Bergen, aber auch in den großen Städten. Die Chuzpe der SS-Kommandantur, den Zug der Südtiroler immer zur gleichen Zeit über immer die gleiche Strecke durch Rom marschieren zu lassen, machte diese immer wiederkehrende Routine der Deutschen zu einem besonders verhassten Symbol des deutschen Terrors und der Besatzung.

Eine Gruppe von illegal agierenden Widerstandskämpfern, Männer wie Frauen, sogenannte „Gapisti“ deponierte vor einem Haus in der Via Rasella, in einem Handkarren der Stadtreinigung versteckt, einen tödlichen Sprengsatz. Diese verheerende Bombe explodierte just in dem Augenblick, in dem die Südtiroler SS-Einheit mit dem dröhnendem Marschtritt deutscher Militärstiefel diese Stelle passierte. Dreiunddreißig SS-Männer waren sofort tot, leider starben auch zwei italienische Zivilisten, die nicht gewarnt werden konnten. 67 Menschen wurden verwundet.

Die Attentäter verschwanden unerkannt im Chaos nach der Explosion, dem Schreien der Verwundeten, den Alarm signalisierenden Trillerpfeifen, der Hilflosigkeit in den Augenblicken nach einer derartigen Tat.

24.03.1944 Fosse Ardeatine, Rom, ganztags

Hitler und der Reichsführer-SS Himmler hatten getobt, als sie die Nachricht vom Attentat erhalten hatten und sofortige harte Vergeltung befohlen. Hitler ging so weit zu befehlen, dass ein ganzer Stadtteil Roms in die Luft zu jagen sei. Die Täter konnten nicht dingfest gemacht werden und in der italienischen Hauptstadt untertauchen. Somit war die römische Zivilbevölkerung im Zentrum der ganzen Wucht der Rache der Nazis.

Was folgte, war eine massive Vergeltung durch die Deutschen. Der Chef des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei in Rom, gleichzeitig Polizeiattaché und Kriminalrat, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, ordnete in Absprache mit den militärischen Befehlshabern die sofortige Exekution von zehn Geiseln für jeden getöteten Deutschen an und übernahm persönlich das Kommando. Die makabre Gleichung: ein toter Deutscher gleich zehn tote Geiseln war von der Stadtkommandantur per Plakatanschlag schon weit im Vorfeld irgendwelcher Attentate auf deutsche Einheiten oder Zivilpersonen allgemein verkündet worden, den Partisanen also bekannt.

Die Geiseln wurden mit LKW zu den außerhalb Roms gelegenen Tuffsteinhöhlen der Fosse Ardeatine transportiert. Auf ihrem Weg passierten sie Trastevere, überquerten den Tiber und kurz vor dem Erreichen der historischen Via Appica Antica bogen die Fahrzeuge nach rechts auf das Gelände mit den Zugängen zu den Höhlen ab. Die ersten Geiseln wurden in einer Fünfergruppe an das Ende eines Blindstollens geführt. Jedes der fünf Opfer wurde von einem SS-Mann begleitet. Die makabre Szenerie wurde wie in einem schlechten Horrorfilm von Fackelträgern ausgeleuchtet. Am Ende des Blindstollens mussten sie niederknien und wurden von einem Mitglied des Kommandos per Genickschuss direkt ins Kleinhirn getötet. Die folgenden Fünfergruppen wurden auf die gleiche Art und Weise behandelt. Mit auf dem Rücken zusammen gebundenen Händen wurden sie an den Eingang der Höhlen geleitet, mussten dort warten, während sie die Angstschreie der Männer hörten, die vor ihnen exekutiert werden sollten. Nachdem die SS-Leute die Geiseln ins Halbdunkel geführt und die Augen sich an das schale Licht gewöhnt hatten, konnten diese die Leichenberge erkennen, die sich in der Zwischenzeit nach mehreren Gruppen aufgetürmt hatten. Der Raum in den Höhlen war begrenzt, also erhielten die Delinquenten den Befehl, die aufgehäuften Leichen zu erklimmen und sich auf dem Haufen toter Körper ebenfalls nieder zu knien, um dann den Genickschuss zu erhalten. Innerhalb weniger Stunden war auf diese Weise der Boden der Ardeatinischen Höhlen mit einem einen Meter hohen Berg von Leichen bedeckt.

Unter den Erschossenen befanden sich siebzig römische Juden, fünf Generale und elf hohe Offiziere der italienischen Armee, andere Erschossene waren willkürlich auf der Straße festgenommen worden. Insgesamt wurden dreihundertfünfunddreißig Geiseln von den Kommandos der Dienststelle Kappler hingerichtet. Kappler persönlich brachte einige der Opfer auf die beschriebene Weise per Genickschuss um.

Die SS hoffte, die Spuren dieses Verbrechens durch die Sprengung der Tuffsteinhöhlen verwischen zu können. Nach Abschluss der Hinrichtungen sprengte ein SS-Kommando gegen Abend den Eingang zu den Höhlen in der Hoffnung, die Mordtaten damit verbergen zu können, ohne Erfolg. Es hatte sich wie ein Lauffeuer in Rom herum gesprochen, was dort in den Höhlen passierte.

Als die Fosse Ardeatine nach dem Abzug der Deutschen und dem Ende der Kampfhandlungen in der Region Rom geöffnet wurden, entdeckten die italienischen Partisanen die dreihundertfünfunddreißig erschossenen Geiseln, fünf mehr als die von der Haager Landkriegsordnung erlaubten zehn Geiseln pro getötetem Soldaten. Herbert Kappler wurde für die Hinrichtung nur dieser fünf Geiseln zur Rechenschaft gezogen, die restlichen dreihundertdreißig waren somit formal korrekt ermordet worden.

Warum diese fünf ebenfalls erschossen wurden kommentierte er im Prozess mit den Worten

Wenn sie schon mal da waren…“

Herbert Kappler wurde im Juli 1948 mit fünf weiteren Angeklagten vor ein italienisches Militärgericht in Rom gestellt und wegen der Erschießung dieser fünf hingerichteten Geiseln zu lebenslanger Festungshaft in der Festung Gaeta verurteilt. Seine Mitangeklagten aus dem Erschießungskommando wurden mit dem Hinweis auf Befehlsnotstand freigesprochen und konnten den Gerichtssaal als freie Männer verlassen.

Die italienische Regierung verschleppte tausende von Ermittlungsverfahren gegen deutsche Kriegstäter, man hatte die Sorge, dass die internationale Öffentlichkeit auch ein Auge auf die italienischen Kriegsverbrechen und ihre Akteure in Griechenland, Jugoslawien und Albanien werfen würde. Abgesehen davon gab es auch die klare Direktive der westlichen Alliierten, keine mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus ihren Besatzungszonen an Italien auszuliefern, ein Tribut an den schon entbrannten Ost-West-Konflikt

Kappler aber wurde in den Jahren seiner Haft über Jahrzehnte zum politischen Symbol der deutschen Besatzungspolitik und des Terrors gegen die italienische Bevölkerung in der Zeit vom September ´43 bis zum Kriegsende.

 
 


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